1930 - Gründung der Stickerei-Zentrale Appenzell

Innerrhoder Handstickereien als kunsthandwerkliches Gewerbe

Handstickereien gehören mit zu den bekanntesten Produkten des kunsthandwerklichen Brauchtums von Appenzell Innerrhoden. Während die Ostschweizer Stickerei-Industrie mit ihrem Handelszentrum St. Gallen 1865 bis 1913 einen beeindruckenden Industrialisierungsprozess durchlief, wurde Appenzell Innerrhoden nur am Rande von der Maschinenstickerei berührt. Die Entwicklung war hier eine umgekehrte. Setzten die industriellen Zentren je länger mehr auf Masse und tiefe Preise, so fand in Innerrhoden eine nachhaltige Verfeinerung dieses kunsthandwerklichen Gewerbes statt. Die Konzentration auf höchste Qualität im oberen Preissegment war verbunden mit dem Aufbau eigenständiger Fabrikationsstrukturen und Absatzkanäle. Eine ganze Reihe von Innerrhoder Unternehmen wie die Albin Breitenmoser AG, die Huber-Lehner AG und die Dörig Kreuzhof AG waren spezialisiert auf die heimische Handstickerei. Das Gros der Textilien wurde nicht in Fabrikbetrieben, sondern in Heimarbeit hergestellt. Tausende fleissiger Frauen trugen mit ihrer Arbeit am Stickrahmen zum Familieneinkommen bei. Ein Teil der Produkte fand seinen Weg in Direktvermarktung zu den Kunden. Sogenannte Broderiehändler begaben sich vor dem Ersten Weltkrieg saisonal in vornehme Kurorte des deutschsprachigen Raumes und fanden unter den dort versammelten Adligen und Industriellen eine kaufkräftige Kundschaft.

Bild Legende:
links: Ab 1800 fasste die Handstickerei in Appenzell Innerrhoden Fuss. Um 1830 dominierte sie die Heimindustrie des Kantons. Zeichnung von Johannes Schiess, 1. Hälfte 19. Jahrhundert. [Museum Appenzell], rechts: Briefkopf der Stickerei-Zentrale Appenzell ab 1930. [Landesarchiv Appenzell Innerrhoden]

Zur Förderung der Handstickerei wurden ab 1889 Einführungs- und Fortbildungskurse für verschiedene Sticharten durchgeführt. In der Regel erhielten Mädchen ihre erste Anleitung bei der Mutter oder einer älteren Schwestern und besuchten anschliessend diese staatlich subventionierten Kurse. Der Förderung der Handstickerei verschrieb sich auch die 1902 gegründete Vereinigung der Innerrhoder Handstickereifabrikanten, welche die Interessen der Produktionsbetriebe und Warenvermittler (Fergger) vertrat.

Mit dem Zusammenbruch der industriellen Stickerei während des Ersten Weltkrieges und der Zwischenkriegszeit musste sich auch die Handstickerei neu orientieren. Dabei kam ihr das vor dem Hintergrund von Krise und Geistiger Landesverteidigung verstärkte Interesse für solide Konsumartikel aus Schweizer Produktion zu Hilfe. Das 1930 gegründete Schweizer Heimatwerk und die schweizerische Trachtenbewegung, welche ab 1932 auch in Innerrhoden aktiv war, förderten das Verständnis für heimische Textilien. Nastücher, Tisch- und Bettwäsche für Aussteuern sowie Trachten aus Innerrhoder Produktion erfreuten sich dank ihrer langen Lebensdauer grosser Beliebtheit. 1930 kam es auf Initiative der Fabrikanten und Fergger zur Gründung der Stickerei-Zentrale Appenzell. Diese zertifizierte die Echtheit der Appenzeller Handstickereien durch die Ausgabe von Schutzmarken und schirmte diese damit bis zu einem gewissen Grad vor der maschinellen Konkurrenz ab. Trotz aller Bemühungen sank der Absatz an Handstickereien jedoch ab der Mitte der 1950er-Jahre. Die Wegwerfgesellschaft verlangte nach billiger Ware und nicht nach Qualität. In der Folge wurden die Handstickfachkurse 1955 letztmals durchgeführt, die Stickerei-Zentrale 1970 aufgehoben. 1991 löste sich auch der Verband der Handstickerei-Fabrikanten auf, nachdem die meisten Firmen das Geschäft aufgegeben hatten.